bewußtsein
Es gibt Dinge, für die habe ich ein besonderes Händchen. Der berühmte erste Eindruck zum Beispiel. Ich rede jetzt von dem, den ich auf andere Leute beim Kennenlernen mache. Hier wie in anderen Bereichen meines Lebens gibt es kein Mittelmaß. Entweder findet mich jemand (nur als Beispiel) so toll, dass er am liebsten gleich seine Ehefrau mit mir betrügen würde oder der Erstkontakt beschränkt sich auf einen recht kurzen Zeitraum, an dessen Ende ein lapidares „Lass mal stecken“ steht. Ich sollte mich glücklich schätzen, ich habe noch nie jemandem meine Nummer gegeben und mir hinterher darüber Gedanken machen müssen, ob ich auch tatsächlich angerufen werde. Natürlich kommt ein Anruf.
Wie ist das aber nun in folgender Situation: der Abend beginnt in netter Atmosphäre in einer wenig frequentierten Kaschemme, es gibt angeregte Unterhaltung, es werden bisherige Studienorte ebenso diskutiert wie sexuelle Vorlieben und Mobiltelefone, von meiner Seite aus besteht mehr als nur Sympathie. Zu vorgerückter Stunde kollabiert spontan mein Kreislauf. Ich hatte dieses zwar Sekunden vorher angekündigt (ich kenne die Symptome ja, weißes Rauschen), meinem Sturz von der wirklich nicht bequemen Sitzbank stellt sich mein Gesprächspartner trotzdem nicht entgegen. Ich komme wieder zu mir, als mich vier der anwesenden Gäste vorsichtig auf dem Teppich ablegen (die müssen was mit der Bandscheibe haben, so schwer bin ich nicht), eine offenbar im Umgang mit Drogensüchtigen erfahrene Pädagogikstudentin drückt mir Cola und Kekse in die Hand und befiehlt mir den vollständigen Verzehr. Mein Begleiter, der bis dahin in katatonische Schizophrenie verfallen war, hat sich wieder berappelt und nimmt neben mir Platz. Unter dem Tisch, auf dem Teppich, umringt von zahlreichen Schaulustigen, die sich ab und an vergewissern, ob es mir denn wirklich wieder besser wird. So nett diese Nachfragen auch gemeint sein mögen: ja, mir geht es blendend, ich liege gerne hier unten, tut einfach so, als wäre nichts gewesen, bitte gehen sie weiter, hier gibt es nicht zu sehen.
Das so abrupt unterbrochene Gespräch kommt nach einigen heiteren Anekdoten meinerseits wieder in Gang, schleppt sich aber leider langsam dahin, da ich dem Verlauf doch nicht mehr so ganz zu folgen vermag. Wenigstens ist das Liegen unter dem Tisch wesentlich angenehmer als die verkrampfte Sitzposition an der Kante desselben, wir verbleiben auch nicht mehr lange. Nach meiner Rehabilitation fahre ich den jungen Mann noch zu seinem aktuellen Nachtlager; die Verabschiedung fällt nicht weniger herzlich aus als bei Jemandem, der nicht das Schauspiel eines Bewußtseinsverlustes miterlebt hat.
Preisfrage: Anruf oder nicht?
Da aber kein Einsendeschluß festgelegt ist, könnte die Gewinnausschüttung noch etwas auf sich warten lassen.